Theodore Roszak
Arbeit: Das Recht auf rechten Lebenserwerb
Der Mensch braucht die
Arbeit mehr als den Lohn; sie prägt der Materie das Siegel des Menschen auf und
leiht sich ihm als Ausdrucksmittel. Arbeit, körperliche Arbeit, ist für neun
Zehntel der Menschheit die einzige Möglichkeit, ihren Wert in dieser Welt zu
erweisen. Lanza del Vasto
Ein Job ist Tod ohne die
Würde.
Brendan Behan
Wenn ich an meine frühesten kindlichen Wahrnehmungen der Arbeit zurückdenke, so bilden sie zusammen eine Fibel elementarer Lektionen, die vermutlich seit Generationen zum Gedankengut unserer Gesellschaft gehören. Sie sind das Evangelium der amerikanischen Arbeitsethik, wie es mir durch allgegenwärtige Beispiele und unausgesprochene Selbstverständlichkeiten vermittelt wurde. Es lautet etwa so:
- Kinder spielen.
Erwachsene arbeiten. Arbeit macht einen offiziell zum Erwachsenen. Erwachsene
müssen arbeiten, oder sie kriegen kein Geld, um sich Sachen zu kaufen und sich
zu vergnügen.
- Arbeit muß man sich da
draußen in der Welt suchen. Man bewirbt sich und konkurriert darum. Andere
Leute geben sie. Man nennt sie Chef, und sie geben einem Arbeit als Belohnung
dafür, dass man die richtige Sorte Mensch ist. Sie müssen einem keine Arbeit
geben und können sie einem auch jederzeit wieder wegnehmen. Deshalb soll man
sich wünschen, ein guter Arbeiter zu sein – dann verliert man seine Arbeit
nicht und muß nicht arm sein.
- Arbeit ist das, wohin
die Väter morgens für den ganzen Tag gehen. Das ist eine ernste Sache, denn die
Familie lebt davon, und es ist geheimnisvoll, weil es irgendwo weit weg
passiert – an einem Ort, den man Büro oder Fabrik oder Geschäft nennt. Die
meisten Mütter arbeiten zu Hause, aber das zählt nicht als .richtige' Arbeit.
'Richtige' Arbeit ist etwas, wofür man bezahlt wird. Je mehr man verdient,
desto wichtiger ist man. Die beste Arbeit kriegen immer die, „Schlauen'“ Da
verdient man massenhaft Geld und muß fast nichts dafür tun – vor allem nichts,
was mit Muskelkraft oder Dreck zu tun hat. Was die Schlauen machen, nennt man „Arbeit
mit dem Kopf.“
- Arbeit muß man nicht
unbedingt mögen. Die meisten Leute beklagen sich über ihre Arbeit genau wie die
Kinder über die Schule. Die Schule ist dazu da, einen auf das wirkliche Leben
vorzubereiten, nämlich den ganzen Tag eine Arbeit zu tun, die man nicht mag.
Solange man Kind ist, geht man Spielen — wenn man nicht in der Schule ist. Ist
man aber offiziell erwachsen, dann hört man auf zu spielen, sucht sich eine
Arbeit und hat Verantwortung. Verantwortung haben, das heißt: Spaß gibt es nur
noch am Wochenende und im Urlaub ... es sei denn, man gehört zu den Schlauen.
Die Schlauen wissen, wie man `vorwärts kommt` und dann eines Tages `eine ruhige
Kugel schieben' und sich nur noch amüsieren kann.
- Leute, die nicht
arbeiten, sind entweder sehr arm oder sehr reich. Arme Leute, die nicht
arbeiten, sind faul und verachtenswert. Versager und Schnorrer. Reiche Leute,
die nicht arbeiten, haben halt ,Glück'. Sie sind vielleicht auch nicht gerade
die Leute, die einem gefallen, aber zumindest sind sie keine Schnorrer. Sie
verdienen es, nicht arbeiten zu müssen, denn sie sind erfolgreich. Wer schlau
ist, wird wie sie.
- Die Arbeit verlieren ist
eines der beschämendsten und schrecklichsten Dinge, die einem passieren können;
man muß dann nämlich stempeln gehen, und die Leute denken, man sei ein
Schnorrer. Deswegen muß man hart arbeiten und sich unentbehrlich machen, selbst
wenn man seine Arbeit hasst.
Working poor – arme Malocher
Wie die meisten Kinder
nahm ich diese Lehren durch Osmose aus meiner Umwelt auf. Sie wurden nie
Diskussionsgegenstand – was gab es da zu diskutieren? Arbeit war das, wozu man
aufwuchs; sie gehörte einfach zum Menschsein. In meiner Familie mit ihrem fast
sprichwörtlichen Einwandererschicksal, kam niemals jemand auf den Gedanken, dass
es kulturell bedingte Formen der Arbeit geben könnte, dass die Arbeit wie die
Speisen, die wir essen, ein Material sein sollte, das wir nach unserem
Geschmack zurichten. Als meine Großeltern aus Osteuropa hier ankamen, stand an
ihrem Himmel dieser eine Fixstern: ihre Bereitschaft zu arbeiten – ohne Fragen
zu stellen oder Schwierigkeiten zu machen. Arbeit war ihre einzige Chance, sich
als Amerikaner zu beweisen und durchzusetzen. Vom Schiff herunter wanderten sie
schnurstracks in die Gruben, Geschäfte und Fabriken, dankbar und froh um jede
Arbeit, die sie finden konnten. Allmählich rackerten und sparten sie sich in
die unteren Randbereiche jener wuchernden Zusammenballung namens Mittelklasse
vor. Arbeit war Anfang und Ende, Mittelpunkt und Substanz ihres Lebens; sie
qualifizierten sich damit zu nützlichen Bürgern. Überdies war das Arbeitsethos
Fundament ihrer Sicherheit und Selbstachtung. Wenn alles schief ging und
zusammenbrach wie während der Weltwirtschaftskrise, konnten sie auf ihre
Bereitschaft zurückgreifen, jede Arbeit bis zum Umfallen zu verrichten.
Dennoch besaßen sie einen
merkwürdigen Stolz auf ihre Arbeit. Ich erinnere mich lebhaft, wie mein Vater jedes
Mal die Familienlitanei herbetete, wenn er beleidigt oder ungerecht behandelt
worden war. „Ich habe für jeden Pfennig schwitzen müssen ... Ich habe nie was
umsonst gekriegt ... niemand aus dieser Familie hat jemals um Wohlfahrtsunterstützung
gebeten ..." Es war ein Stolz, in den sich Bitterkeit mischte, denn mein
Vater hat (wie sein Vater) nie Befriedigung in der Arbeit gefunden, für die man
ihn anstellte. Er verabscheute und verfluchte alle seine Jobs. Er war ein
begabter Tischler, doch abgesehen von ein paar gescheiterten Versuchen, sich
selbständig zu machen, verbrachte er sein ganzes Arbeitsleben als
unterbezahlter Zimmermann und bekam nie ein gutes Wort für seine Arbeit. Er
verachtete seine Arbeitgeber und die Aufträge, die sie ihm erteilten; sie mussten
immer nur schnell und billig ausgeführt werden – seine Fertigkeiten waren nicht
gefragt. Am schlimmsten war aber, dass er sich schließlich selbst verachten
lernte als einen von hundert Millionen Namenlosen, der auf den unteren Sprossen
der sozialen Leiter steckenblieb und keine Chance hatte weiterzukommen.
`Working poor' ist unsere
soziale Kategorie für Familien wie meine, für Leute, die sich nur dadurch über
Wasser halten, dass sie jede Woche zehn bis zwanzig Überstunden einlegen. Überstunden
wurden bei uns zu Hause wie himmlisches Manna gefeiert; mein Vater kündigte sie
wie die Aussicht auf bessere Zeiten an. Aber dann arbeitete er schwerer denn
je, und das sah man. Abends schleppte er sich hundemüde und reizbar nach Hause,
und am nächsten Morgen machte er sich mit verquollenen Augen und unrasiert
wieder auf; beim aufgewärmten Abendessen murrte er darüber, wie viel weniger in
seiner Lohntüte war, als er eigentlich verdient hatte. Und die ewige Klage: die
Arbeit war seiner nicht würdig. Es war stupide Pfuscherei, nichts wurde achtsam
oder sachgerecht ausgeführt.
Die harte Arbeit brachte
meinen Vater früh um – mit sechsundvierzig. Er starb an Herzversagen und (wie
ich glaube) Demoralisierung – und hinterließ nicht genügend Geld für ein anständiges
Begräbnis. Meine Mutter musste seine Lebensversicherung für diesen Zweck
aufbrauchen.
Trotz seines kämpferischen
Stolzes auf seine ,harte Arbeit' riet er mir ständig: „Arbeite nie mit den
Händen. Geh aufs College. Wenn du mit den Händen arbeitest, bist du in dieser
Welt einen Scheißdreck wert." Sein Stolz war das einzige, was er dem
Gefühl hilflosen Ausgeliefertseins entgegensetzen konnte. Er hatte allen
Anspruch auf Selbstachtung, denn er besaß edle und nützliche Fertigkeiten. Er
konnte Häuser und kunstvolle Möbel bauen und wusste, wozu ein Werkzeug wirklich
gut war. Ich habe mit verantwortlichen, leitenden Papierkramern zu tun gehabt,
die für die Welt nichts leisten, was sich mit einem einzigen guten Tisch oder
Stuhl meines Vaters messen könnte. In einer anderen Zeit wäre er ein geachteter
Mann gewesen, aber darauf konnte er seinen Stolz nicht mehr gründen, denn er wusste,
dass er irgend jemandes missbrauchter Angestellter war, ein Mietknecht von
Leuten, für die er nur schnelles Geld bedeutete. Seine Selbstachtung war also
mit Zorn und Neid behaftet; wenn er sich damit brüstete, hart zu arbeiten,
versuchte er nur, aus einer verhassten Not eine dürftige Tugend zu machen.
Letztlich war sein Stolz nur Ausdruck ohnmächtigen Grolls.
Wenn ich höre, wie Politiker
und Gewerkschafter darüber reden, ,den Menschen Arbeit zu geben', frage ich
mich, ob ihnen klar ist, wie erbärmlich wenig damit erreicht wäre. Was bedeutet
'Vollbeschäftigung' für Menschen wie meinen Vater, deren tägliche Arbeit nur
Demütigung und Quälerei ist? Genügt es immer noch, einfach zu zählen, wie viele
Menschen Arbeit haben – ohne danach zu fragen, ob sie auf ihre Arbeit auch
stolz sein können? Wann werden wir wohl anfangen, nicht mehr nur quantitativ
nach den Beschäftigungsverhältnissen zu fragen, sondern auch qualitativ? Anders
gefragt, wann werden wir anfangen, Menschen nicht mehr als statistische
Einheiten zu betrachten, sondern als Personen?
Noch etwas fällt mir ein,
wenn ich an das Arbeitsleben meines Vaters denke – in meiner Jugend habe ich
mich darüber immer gewundert. Jedes Jahr bekam mein Vater zwei lumpige Wochen
bezahlten Urlaub. Wenn es so weit war, schwor er jedes Mal, er würde die ganze
Zeit nur im Garten liegen und faulenzen. Und das tat er auch... die ersten zwei
oder drei Tage. Er saß mit einem Bier und dem Radio unter einem Baum und tat
nichts. Aber bald hämmerte er schon wieder irgendwo im Haus herum und richtete
ein Zimmer her; oder er baute in der Garage irgendwelche Möbelstücke; oder er
kletterte unter den Dielenbrettern herum und reparierte das Fundament. Danach
war er dann genauso müde und verdreckt, wie er von der Arbeit zu kommen
pflegte, aber jetzt war er nicht mürrisch und beklagte sich nicht. Er freute
sich, wie gut die Sache voranging, oder machte sich Planskizzen und knobelte
die beste Lösung aus.
Einen Sommer schuftete er
sogar den ganzen Urlaub lang zehn bis zwölf Stunden täglich und half einem
Nachbarn, der zwei linke Hände hatte, eine neue Veranda zu bauen. Eine Flasche
Whisky war alles, was er dafür bekam. Als meine Mutter ihn fragte, weshalb er
das auf sich nahm, sagte er: „Weil ich nicht da draußen sitzen und zusehen
kann, wie er da rummurkst. Das macht mich verrückt."
Das wahre Ausmaß der Entfremdung
Wenn es je ein Beispiel
für Entfremdung im klassischen marxistischen Sinn des Wortes gegeben hat, so
war es mein Vater. Er war der Proletarier schlechthin: ökonomisch wie
psychologisch völlig ausgeliefert. Er hat nicht einmal den Weg in eine
Gewerkschaft gefunden, um seine Rechte zu wahren. Um seinen Lebensunterhalt zu
verdienen, konnte er nichts weiter tun, als seine Arbeitskraft verkaufen, und
das genügte nicht einmal. Er musste auch noch seine Selbstachtung verkaufen. In
diesem Akt der Resignation liegt mehr als persönliches Leiden. Eine ehrwürdige
Handwerkstradition wird dabei tödlich vergiftet und der Sinn anständiger Arbeit
für uns alle bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Ich habe jedoch im Laufe
der Jahre – vor allem durch eigene Erfahrungen in verschiedenen Jobs, vom
Hilfsarbeiter bis zu meinem jetzigen Beruf – sehen gelernt, dass sich am
Beispiel meines Vaters gerade erst die Anfänge des Problems entmenschlichter
Arbeit zeigen. Seine Erfahrung ist eigentlich nur die Grundlinie, von der aus
man die weiterreichenden Formen der Entfremdung ermessen kann. Von unserem
personalistischen Standpunkt aus betrachtet, liegt das eigentliche Problem
nicht bei denen, die wie mein Vater elend und verbittert sind, sondern dort, wo
Ausbeutung und Entfremdung stillschweigend hingenommen werden.
Man braucht nicht über die
konventionelle Analyse der Linken hinauszugehen, um zu erkennen, dass ein mit
Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung zum Schweigen gebrachter Arbeiter immer
noch ein ausgebeuteter Arbeiter ist. Auch wenn man die äußeren Umstände so
gestaltet, dass die Arbeit entspannter und abwechslungsreicher wird
(klimatisierte und mit Teppichböden ausgelegte Büros, Musikberieselung,
strategische Zäsuren durch Kaffeepausen in der ansprechend eingerichteten
Kantine), bleibt es eine entfremdete Beschäftigung, selbst wenn die unter
solchen entschärften Bedingungen arbeitenden Menschen ausnahmslos guter Dinge
wären. Ihre Arbeit gehört ihnen trotzdem nicht; sie ist immer noch kein Akt
ihrer eigenen Wahl und nach ihren eigenen Vorstellungen ausgeführt. Sie bleiben
abhängig von der Gunst ihrer Arbeitgeber und Chefs; sie haben nach wie vor
nicht die Macht zu entscheiden, zu was ihre Arbeit letztlich benutzt wird; sie
besitzen weder die Produktionsmittel noch die Früchte ihrer Arbeit. Sie
arbeiten immer noch als Produktionsinstrument in der Verfügungsgewalt von
Kräften, die sie nicht beherrschen und vielleicht nicht einmal verstehen.
In den Jahren, bevor ich
Lehrer und Schriftsteller wurde, habe ich in unsagbar trostlosen und
gefährlichen Fabriken gearbeitet. Zum Beispiel in einer Verchromerei, wo ich
ständig bis über die Schuhe im Dreck stand und die Dämpfe von brodelnder Säure
einatmete. In einer Boilerfabrik erwartete man von mir allen Ernstes, dass ich
meine Trommelfelle einer Arbeit am Niethammer aufopferte, die kaum das
Lebensminimum abwarf. Der Chef musste den fast tauben Arbeiter, den ich
ersetzen sollte, anschreien, um ihm mitzuteilen, dass ich seine Arbeit
übernehmen würde. Ich sagte, ich wollte mehr Geld für so einen Job – und war
auch schon gefeuert. Die schiere Grauenhaftigkeit solcher Arbeit liegt auf der
Hand; niemand muß erst davon überzeugt werden, dass sie ausbeuterisch und
entwürdigend ist.
Aber ich habe auch in
`White-Collar-Jobs' gearbeitet, wo man den Angestellten alle erdenklichen
Annehmlichkeiten bot. Bei einer Versicherungsgesellschaft sorgte das
Personalbüro jede Woche für ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm: Picknicks
und Theaterabende, Baseballspiele und Amateur-Talentshows, Ausflüge, manchmal
sogar mit gecharterten Flugzeugen. Für alles war hier gesorgt: Kapitalsparen,
Geldanlage, verbilligter Einkauf, medizinische Versorgung, Pension. Jeder
schwangeren Sekretärin ihre Geschenkparty; Geburten, Sterbefälle, Hochzeiten,
Pensionierungen wurden in der wöchentlichen Hauszeitung bekannt gegeben (mit
den großzügigen Beiträgen, die die Firma dazu geleistet hatte). Die Flure waren
mit Teppichen ausgelegt; das Essen in der gepolsterten Kantine war billig und
nahrhaft; hatte man Geburtstag, so bekam jeder in der Abteilung einen kleinen
Napfkuchen mit einer Kerze drauf.
Es gab da Leute, die ihre
Firma liebten. Sie machten all die vielen lustigen Sachen mit. Es war ihre
ganze Freude und füllte den größten Teil ihres Lebens aus. Es war ihnen
wirklich wichtig, dass `unsere´ Firma gegenüber der Konkurrenz eine gute Figur
machte. Aus meiner Arbeit in der Abteilung 'Schadensregulierung' wusste ich, dass
gerade diese Firma einige äußerst windige Kranken- und Unfallversicherungen
verkaufte. Sie weigerte sich auch, Juden oder Schwarze einzustellen. Aber das
ging mich natürlich nichts an. Auch nicht die durch und durch reaktionären
Schliche, mit der die Gesellschaft ihren Einfluss in der Stadt wahrte.
Gewerkschaften waren nicht vertreten; es herrschte das unausgesprochene
Einverständnis, dass man so was hier nicht brauchte. Und die Personalabteilung
hörte sich zwar alle Beschwerden und Vorschläge bereitwillig an, aber es gab
kein geregeltes Beschwerdeverfahren, alles stand einzig und allein im Ermessen
dieser Leute. Die Firma hatte sich die Herzen ihrer Angestellten gewonnen, ohne
dafür irgendeines ihrer kapitalistischen Vorrechte aufgeben zu müssen.
Ich glaube, dass man
innerhalb der nächsten Generation auch in anderen Bereichen der Wirtschaft
immer mehr für das 'Betriebsklima' tun wird. Die Literatur über
Arbeitsunzufriedenheit schwillt jedes Jahr weiter an. Krankmachen, hohe
Fluktuation und Industriesabotage gelten gegenwärtig als große Hindernisse für
Disziplin und Produktivität. Deshalb steht 'Verbesserung der
Arbeitsbedingungen' auf der Tagesordnung der Industrie ganz oben; Regierung und
Wirtschaft haben Forschungszentren eingerichtet und überall laufen
einfallsreiche Experimente. Zweifellos gibt es langweilige und schmutzige Arbeiten,
an denen sich kaum etwas `verbessern' lässt: Bergbau, Abfallbeseitigung,
Fließbandarbeit, stumpfsinnige Schreibarbeit. Aber selbst da kann man der
Unzufriedenheit noch die Schärfe nehmen: Gleitzeit, Profitbeteiligung, job
sharing, Teamarbeit, mehr Pausen, wechselnde Aufgaben. Die letzten
Tarifverträge in der Autoindustrie sehen Feiertagszulagen, bezahlte Freizeit
und größere Beteiligung der Gewerkschaften an Entscheidungen vor, die nicht nur
Löhne und Überstunden, sondern auch die Arbeitsumstände betreffen.
Am Beispiel Japan ist zu
erkennen, dass der industrielle Kapitalismus noch allerhand Spielraum für die
Verbesserung der Arbeitsumstände hat. Dort ruhen viele der Dienste, die im
Westen der Wohlfahrtsstaat versieht, in den Händen der Unternehmen, die sich
mit ihrem milden Paternalismus Loyalität und Treue ihrer Arbeitnehmer sichern
können. Vielleicht wird die nächste Phase des Kapitalismus sich auf Robert
Owens vorausschauende Experimente in New Lanark (Schottland) besinnen, mit
denen er schon am Beginn der Industriellen Revolution bewies, dass selbst
größere Investitionen für ein gutes Betriebsklima sich mehr als bezahlt
machten. Owen hatte schon damals recht, doch Anfang des 19. Jahrhunderts hatte
primitive Raffgier seine Mit-Kapitalisten für solche Einsichten blind gemacht –
mit dem Ergebnis, dass der Kapitalismus in den Augen seiner Kritiker nun für
alle Zeiten als entwürdigend und brutal gilt.
Das war aber, wie Marx in
seinen besten analytischen Passagen erkannte, nie das Wesen der kapitalistischen
Beschäftigungspolitik. Der fundamentale Akt der Entfremdung in der
Industriellen Revolution war die Unterordnung der Arbeit unter das Geld, so dass
Arbeit – jede Arbeit und alle Arbeit – eine abstrakte Ware wurde, die zu nichts
weiter mehr da war, als das Geld zu verdienen, mit dem man alles
Lebensnotwendige und (vielleicht) ein bisschen Freizeit kaufen konnte. „Die
Entfremdung", so schrieb Marx, „zeigt sich nicht nur im Resultat, sondern
im Akt der Produktion ..." Sie besteht darin, „dass die Arbeit dem
Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, dass er sich daher
in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern
unglücklich fühlt."*
In besonders klarsichtigen
Augenblicken erkannte sowohl Marx als auch Engels, dass Entfremdung in diesem
tieferen Sinn nicht nur für den Kapitalismus kennzeichnend ist, sondern für
jedes hochindustrielle System – vor allem wenn eine große Wirtschaftsmacht dahinter
steht. Da sie aber davon überzeugt waren (und nach ihnen Lenin und Stalin), dass
die Medizin der Revolution irgendwie alle Krankheiten der Gesellschaft heilen
würde, verfolgten sie diese Sache nicht weiter. Es blieb ihrer radikalen
Opposition überlassen, den Anarchisten, die sie so sehr verachteten, vor
solchen großen Systemen zu warnen: sie sind so tief in eigennützige
Nationalinteressen und den ewigen Rüstungswettlauf verstrickt, dass sie auf das
menschliche Maß des Lebens keine Rücksicht nehmen können und bei der Arbeit
nicht mehr auf persönliche Verwirklichung, sondern nur noch auf Produktivität
schauen. Die schiere physische Last der Arbeit mag ein wenig gemildert werden,
aber dafür stellen wir dann fest – und zwar sowohl in privatwirtschaftlichen
wie in kollektivistischen Wirtschaftsformen –, dass unser Arbeitsleben mit
cleveren Strategien infiltriert wird, die Manager und Planer sich ausdenken, um
sich unserer Ergebenheit zu sichern und unsere Kräfte zur höheren Ehre des
Systems zu manipulieren.
Wir mögen sogar zu Formen
der Arbeiterselbstverwaltung und der industriellen Demokratie kommen, doch an
der Tatsache, dass unsere Mitbestimmung stets von gewissen abstrakten
Imperativen beschränkt bleibt, ändert sich dadurch nichts: Effizienz,
Wachstumsrate, das Machtgleichgewicht in der Welt usw. .Mitbestimmung' ist in
vielen westeuropäischen Staaten ein Modewort und ein politisches Hauptthema der
Regierungen geworden; sie wird als Mittel zur Besänftigung der Unzufriedenheit
verstanden, die umfassender Planung auf der Ebene des Gemeinsamen Markts im
Wege steht. Vielleicht sind auch ehrliche Absichten im Spiel, doch sollten wir
nicht vergessen, dass auch die Konzentrationslager der Nazis auf
.Mitbestimmung' beruhten, auf der Überwachung von Insassen durch Insassen für
bestimmte Vergünstigungen.
Verantwortung und Berufung
Nichts von den
Verbesserungen, die ich erwähnt habe, nicht einmal die geniale Methode der
Chinesen, den Altruismus zu kollektivieren, geht an die Wurzeln der
Entfremdung. Ich will nicht sagen, dass diese Reformen nichts ändern, denn sie
haben das Arbeitsleben gewiss erfreulicher und sicherer gemacht, als es in den
schlimmsten Tagen der Lohnsklaverei war – aber sie ändern nicht in der
richtigen Weise. Sie mögen in vieler Hinsicht notwendig sein, aber sie reichen
nicht aus. Sie verändern die Arbeitsatmosphäre und den Arbeitsanreiz, doch sie
rehabilitieren nicht die Arbeit selbst, solange sie nicht die Person ins
Zentrum des wirtschaftlichen Lebens stellen. Die genannten Reformen, auch
weitreichende industrielle Demokratie, müssen nichts an der totalen
Unpersönlichkeit der Arbeit ändern, an einer Massenproduktion und Massenbürokratie,
die Dinge und Dienstleistungen auf den Markt werfen, in die niemand seine Ehre
gelegt hat, seinen Namen und seinen Stil. Und das ist nach wie vor
Arbeitnehmertätigkeit – Arbeit, die getan wird, weil andere es anordnen, oder
weil das System bestimmt, dass sie von irgendwem getan wird.
Viele Verbesserungen sind
durchaus mit industriellem Riesenwuchs vereinbar; sie können sogar Integration
und Effizienz großer Wirtschaftssysteme verbessern. Selbst das Ideal des
Dienens (des Dienstes an Nation, Volk und Staat) ist in unserer Zeit von
despotischen und entmenschlichten Kräften eingespannt worden. Die schlimmsten
totalitären Regime des 20. Jahrhunderts haben den Patriotismus der Menschen
ausgenutzt, um ihnen unsägliche Opfer abzupressen. Das ist die Gefahr, die in
jeder Form kollektivierter Moral liegt: die Menschen werden nicht angehalten,
sich in ihrer Arbeit zu finden, sondern sich im Dienst an kollektiver Macht zu
verlieren. Sich in diesem Sinn zu verlieren, heißt aber, dass man die
Verantwortung für die eigene Arbeit aufgibt.
Verantwortung — da haben
wir den Faktor, der sowohl in kapitalistischer Verbesserung der Arbeitsumstände
als auch in kollektivistischer Arbeitsmoral fehlt, das entscheidende Kriterium
für den Unterschied zwischen bloßer Lohnarbeit und wahrer Berufung. Wer eine
Berufung hat, arbeitet verantwortlich – nicht in einem bloß juristischen Sinn,
auch nicht in dem Sinn, dass er Angst hat, als Drückeberger bezeichnet und der
Partei gemeldet zu werden, sondern in dem Sinn, dass er mit seiner Arbeit
identisch ist; sie erwächst aus seiner Entscheidung über das, was er in diesem
Leben werden möchte, und deshalb ist er eins mit ihr. Wir nehmen unsere
Berufung wichtig, denn wenn sie mißbraucht wird oder sich als nicht tragfähig
erweist, wird alles in Frage gestellt, was unserem Leben seine bestimmte Gestalt
und seinen Sinn gibt.
Es ist ein Grundzug
menschlicher Erfahrung: Ich fühle mich – außer in einem ganz abstrakt
juristischen Sinn – nicht für eine Arbeit verantwortlich, die keinen
persönlichen Sinn hat; schon gar nicht für eine Arbeit, die ich verachte.
Sinnlose Arbeit, verachtenswerte Arbeit, das ist Arbeit, an der andere schuld
sind; ich erachte sie als bloße Notwendigkeit, als auferlegte Pflicht.
Vielleicht schäme ich mich sogar, mein Leben an solche Arbeit zu verschwenden.
Ich sage mir (und insgeheim auch der Welt: „Ich verrichte sie nur, weil ich das
Geld, den Titel, den Ruf, die Publizität brauche. Ich tue etwas, das mein Chef
oder das System verlangt. Ich habe diese Arbeit nicht erfunden, ich glaube
nicht an sie, ich billige sie nicht. Wenn es nach mir ginge, würde ich etwas
anderes tun. Macht mich also nicht für die Verschwendung, die Sinnlosigkeit und
die Kriminalität dieser Arbeit verantwortlich."
So versuche ich, mich von
meinem Job zu distanzieren, und das ist ein Akt der Entfremdung: Rückzug des
Selbst aus dem Geschehen. Arbeit wird dann ein fremdes Objekt, das allenfalls
Mittel zum Zweck ist, aber nicht zur eigentlichen Identität gehört. Entfremdung
betrifft nicht nur, wie die radikale Linke seit jeher behauptet, die
Produktionsmittel und das Produkt der Arbeit, sondern die Tätigkeit selbst, und
nur deshalb können wir die Verantwortung für unser Tun ablehnen. Und dies tritt
ganz gewiss ein, wenn die Arbeit keine Ansprüche an besondere Fertigkeiten
stellt; sie bietet dann keine Herausforderung, keine Ansatzpunkte für
persönlichen Stil. Arbeit dieser Art ist ein Nichts, ein Loch in der Mitte des
Lebens. Sie ist verschwendetes Leben, und nichts macht uns zorniger und
rebellischer als die Erfahrung, dass ein kostbares Stück Leben uns einfach abgepresst,
gestohlen und dann für irgendeinen Zweck verbraucht wird. Wir ziehen uns in
eine Fantasiewelt zurück, stellen uns vor, woanders zu sein, andere Dinge zu
tun ... wir beobachten die Uhr, machen Pläne fürs Wochenende. Wir sind überall,
nur nicht hier bei und in unserer Arbeit. Ich spreche von einer zweifachen
Verantwortung, nämlich gegenüber unserer Arbeit und für unsere Arbeit. Wenn wir
eine Berufung haben, sind wir unserer Arbeit gegenüber dafür verantwortlich,
sie gut zu tun; und wir sind für unsere Arbeit in dem Sinn verantwortlich, dass
sie einem guten Zweck dienen muß. Bei einer Arbeit, zu der wir berufen sind,
wollen wir das Gute in beiden Hinsichten verwirklicht wissen: gut ausgeführt
und ethisch richtig. Nur eine Kraft, nämlich Liebe, kann diese doppelte
Verantwortlichkeit sichern – unsere Liebe zu der Arbeit, die wir tun. Wie man
nicht über Berufung reden kann, ohne zugleich über Verantwortung zu sprechen,
so kann man auch nicht von Verantwortung sprechen, ohne dass von Liebe die Rede
ist. Gegenüber welchen Dingen und für welche Dinge können wir verantwortlich
sein? (Ich sage können, nicht sollten, denn ich frage nur nach der
psychologischen Tatsache, nicht nach rechtlichen Handhaben.) Wie auch immer
Gesetz und öffentliche Meinung unsere Pflichten definieren, verantwortlich
fühlen wir uns nur gegenüber dem und für das, was wir lieben. Wenn wir einen
Freund, ein Kind, eine Gemeinschaft lieben, wünschen wir ihnen die volle
Verwirklichung ihrer Schönheit und Würde; und in dem Maß, wie wir an diesem
Projekt beteiligt sind, fühlen wir uns mitverantwortlich für das, was sie
werden und tun. In unserer Liebe sind wir eins mit ihnen, und wir würden uns
nicht von ihrem Schicksal lösen, selbst wenn wir es könnten.
In seiner Weisheit machte
Buddha den „rechten Lebenserwerb" (ein weiterer Ausdruck für Berufung,
glaube ich) zu einem der Schritte zur Erleuchtung. Wenn wir unsere Diskussion
nicht so weit vorantreiben, können wir Arbeit nie in ihrer wahren Dimension
betrachten und geben uns mit viel zu wenig zufrieden – vielleicht mit nicht
mehr als einem Gehalt. Verantwortliche Arbeit ist eine Verkörperung der Liebe,
und nur Liebe kann die Persönlichkeit gestalten und den Geist für ein tätiges
Leben einigen und festigen. Auf wahre Berufung trifft das Paradox der Selbsterkenntnis
zu – wir finden uns selbst, indem wir uns verlieren. Wir verlieren uns in der
Liebe zu der Aufgabe, mit der wir gerade beschäftigt sind, und in dem
Augenblick erfahren wir eine Identität, die sowohl in uns liegt als auch über
uns hinausgeht.
Was soll der höchste Yoga
anderes sein als die Arbeit, der wir uns jeden Tag zuwenden?
"Nimm diesen Job und schmeiß ihn hin"
Jeden Tag bewege ich mich
durch eine Welt der Arbeit, einen Ozean menschlicher Aktivität, so
allgegenwärtig und selbstverständlich wie der Ozean der Luft um mich her. Ich
atme die Arbeit der Menschen ein, ich lebe von ihr und nehme sie als gegeben
hin. Die Leute arbeiten, ich arbeite. Dazu sind wir hier; damit verbringen wir
unsere Zeit. Doch unsere Arbeit ist mehr als ein Zeitvertreib. Sie ist unser
Leben. Sie verbraucht Jahre von der Zeit, die uns zugeteilt ist, um unser Heil
zu finden. Und nicht viele von uns arbeiten an einer Berufung ... manchmal
glaube ich, fast niemand. Manche, wie mein Vater, verbrauchen ihre Substanz bei
schwerer und schmutziger Arbeit, die ihnen zuwenig Verdienst und Anerkennung
einbringt. Die meisten plagen sich mit Arbeiten, bei denen die tödliche und
unpersönliche Routine das Schlimmste ist: Tippen, Archivieren, Sortieren,
Verkaufen, Formulare ausfüllen, Papier bearbeiten.
Ich habe selbst solche
Arbeiten verrichtet und muß es immer noch. Ein Teil meiner Pflichten als Lehrer
in einem gigantischen state-college-System besteht in stumpfsinnigem Papierkram
und administrativen Routineaufgaben, die nichts mit Forschung und Lehre und
wenig mit schlichter Intelligenz zu tun haben. Musste irgendeiner von uns
wirklich erst Studs Terkels Bericht Working lesen, um zu erfahren, was der
tödliche tägliche Zoll entfremdeter Arbeit ist? „Ich fühle mich wie eine
Maschine", „Ich fühle mich wie ein Roboter", klagen die
Interviewpartner Terkels. (1) Während ich dieses Kapitel überarbeite, erreicht
eine Platte mit dem Titel „Take This Job and Shove It" („Nimm diesen Job
und schmeiß ihn hin") die Spitze der amerikanischen Hitparade. Dass wir
die Klagen der Menschen um uns herum nicht hören, liegt nur daran, dass wir
nicht verstehen, was sie hinter ihrem heroischen Humor, dem Schutzschild ihrer
Selbstachtung, zu sagen haben. Schaut man aber genauer hin, so steht die
erstickte Personalität ihnen ins Gesicht geschrieben; sie wirkt in den Träumen,
denen sie jeden Tag während der Arbeit nachhängen und die immer wieder zu
Fehlern und Versehen führen; sie zeigt sich in Verdrossenheit und übler Laune.
Ich habe das an mir selbst erlebt, wenn ich spürte, dass wertvolle Stunden
meines Lebens von Beschäftigungen zu Asche gemacht werden, bei denen das Beste,
was ich zu bieten hatte, nicht gefragt war; wenn ich Anordnungen von
Arbeitgebern auszuführen hatte, die sich nicht für die Anlagen interessierten,
die ich in mir spürte und die gefordert werden wollten.
Jeder von uns hat eine
ganz eigene Begabung, eine Berufung, die auszuüben höchstes Vergnügen ist,
selbst wenn wir schwitzen und leiden müssen, um ihr gerecht zu werden. Diese
Berufung wünscht sich einen realen und nützlichen Platz in der Welt, eine
Aufgabe, die nicht Vergeudung oder bloßer Schein ist. Könnte dieser Leben
spendende Impuls freigesetzt und als Energie unserer täglichen Arbeit nutzbar
gemacht werden, hätten wir die Chance, mit der ganzen Kraft unserer
Persönlichkeit – Geist und Körper, Herz und Seele – in unserer Arbeit zu sein
... welche gewaltigen Kräfte würden dann freiwerden! Sie könnten mehr erreichen
und verändern als die ganze Macht industrieller Technologie.
Doch sie – die Firma, das
System – haben selten Verwendung für diese Berufung. Unsere Chefs suchen sie
nicht einmal in sich selbst. Sie ändert nichts an Gewinn oder Verlust; sie
schlägt sich nicht in den ökonomischen Indikatoren nieder (so glauben
jedenfalls die Experten). So wischen sie sie einfach vom Tisch und behandeln
uns weiter als Personal, nicht als Personen. Das muß ein Chef beherrschen, wenn
er in dieser verdrehten Wirtschaft erfolgreich sein will: blind sein für die
Personalität seiner Arbeiter — Geschäft ist Geschäft. Solche Behandlung lassen
sich aber immer weniger Arbeitende gefallen, und der Trend beschränkt sich
keineswegs auf Mittelklasse und College-Absolventen. Daniel Yankelovich kommt
in seinem Bericht über die amerikanische Jugend der siebziger Jahre zu dem Schluss,
dass „immer mehr Jugendliche ohne College-Ausbildung ... sich der Suche
gleichaltriger College-Studenten nach einer Definition für Erfolg anschließen,
die ebensoviel Gewicht auf Selbstverwirklichung und Lebensqualität legt wie auf
Geld und Sicherheit." (2) Das Arbeitsministerium berichtet, dass selbst
auf unserem heute sehr angespannten Arbeitsmarkt doppelt so viele Menschen ihr
Arbeitsverhältnis kündigen, weil es sie anwidert, als noch vor zehn Jahren; und
die Zahlen steigen.
Aber irgendwie wursteln
wir weiter. Ich staune immer wieder darüber, was die Leute sich alles einfallen
lassen, um bei ihrer Arbeit bleiben zu können, ohne zu verbittern. Natürlich
schafft das nicht jeder. Ich kenne genügend Leute, die unterschiedslos jeden
hassen, mit dem sie im Verlauf eines Arbeitstages zu tun haben, die sogar
offene Sabotage betreiben. Und ich kenne die anderen, die sich ständig wie
Mannequins auf dem Laufsteg geben und sich mit ein paar Bücklingen
durchschlängeln, die sie brav gelernt haben ... die Besatzungen der
Telefonzentralen mit ihrer versteinerten Freundlichkeit ... die Stewardessen
mit ihrem Plastiklächeln und ihrem Reklame-Sexappeal. Am traurigsten sind die
Mädchen und Jungen, die für die Kettenrestaurants arbeiten. Sie müssen sich wie
lebendige Fernseh-Werbespots aufführen, geschniegelt und immer grinsend, happy,
happy, happy, weil sie der Welt täglich eine Milliarde miese Hamburger
verkaufen dürfen. Beobachtet sie jemand, überprüft ihre Darbietung... irgendein
Big-Brother-Manager? So jung sind sie noch und stehen schon da und fälschen ihr
eigenes Leben für einen Groschenjob. Vielleicht ihre erste bezahlte Arbeit –
und was lernen sie? Wie man eine gewissenhafte Marionette der Firma wird.
Aber ich treffe so viele
andere, die das Wunder vollbringen, bei der Arbeit Mensch zu bleiben. Sie
sprechen sich irgendwie selbst Mut zu und erfinden kleine Kompensationen, die
ihnen durch den Tag helfen. Sie dekorieren ihren Arbeitsplatz mit persönlichen
Gegenständen und eigenen Plakaten. Sie schmuggeln Transistorradios ins
Geschäft, um `ihre' Musik zu hören – obgleich natürlich auch hier das meiste
Werbung oder Schleichwerbung ist. Sie machen aus der Arbeit eines Tages eine
Folge kleiner Wettbewerbe, die sie in Gang halten. Sie setzen sich heimlich
absurd hohe Normen für die Genauigkeit und saubere Ausführung ihrer Arbeit, um
einen sportlichen Zug hineinzubringen. Sie organisieren Spiele mit den
Kollegen, sie tratschen, flirten, albern herum, tauschen Witze und Neuigkeiten
aus. Vor allem aber meckern sie. Gemeinsames Meckern hilft immer. Jemandem
mitzuteilen, dass man weiß, dass das hier ein Scheißjob ist, erleichtert das
Gewissen. Damit erinnert man sich selbst und die Welt daran, dass man
eigentlich größer, klüger und besser ist als dieser Stumpfsinn. Wenn es nach
mir ginge ...
Als ich bei der Bank of
America Geldzähler war, beschäftigte ich meinen Kopf den ganzen Tag mit
griechischen Deklinationen und innerlich aufgesagten Gedichten. Das hielt mein
Gehirn lebendig – und machte mich zu einem miserablen Zähler. Aber selbst meine
Fehler waren eine heimliche Genugtuung – Sand im gut geölten Getriebe des
finanziellen Banditentums. Ich denke mir, dass sich die Menschen mit solchen
Kniffen auch über die schlimmste Schinderei hinweggeholfen haben, seit die
Fabrikglocken das Zeitalter des Industrialismus einläuteten. Es sind Symptome
vom Überlebenskampf unserer Berufung: kleine Funken und Blitze unserer
vereitelten Personalität. Leider wird keine private Strategie dieser Art jemals
einen leeren und betrügerischen Job in eine Berufung verwandeln – übrigens auch
keine soziale Reform. Und viel zu viele von uns sind in solche Arbeit
verstrickt und versuchen sich an dem peinlichen Eingeständnis vorbeizudrücken, dass
sie in der Falle sitzen. Ein Schwindeljob ist ein Schwindeljob; ein mieser Job
ist ein mieser Job. Das ist keine Frage der Moral oder der gesellschaftlichen
Organisation; nicht einmal die revolutionäre Übernahme der Produktionsmittel
durch die Arbeiter könnte etwas daran ändern. Es sind objektive Tatsachen, die
mit bestimmten Formen der Arbeit verbunden sind, und viele
Industriegesellschaften scheinen nur noch diese Formen anbieten zu können.
Arbeit, die unnötigen
Wohlstandsabfall oder Waffen produziert, ist schlecht und sinnlos. Arbeit, die
auf eingebildeten oder künstlich erzeugten Bedürfnissen beruht, ist schlecht
und sinnlos. Arbeit, die täuscht und manipuliert, die ausbeutet und entwürdigt,
ist schlecht und sinnlos. Arbeit, die der Umwelt schadet und die Welt hässlich
macht, ist schlecht und sinnlos. Es gibt keine Möglichkeit, solche Arbeit zu
rehabilitieren, weder durch Verbesserungen oder Umstrukturierung, noch durch
Vergesellschaftung oder Verstaatlichung, noch durch Verkleinerung oder
Dezentralisierung oder Demokratisierung.
Dies ist ein absolutes
Kriterium, das überall angewendet werden sollte, wo von Arbeit die Rede ist.
Ist es eine anständige und nützliche Arbeit? Leistet sie wirklich etwas für die
Bedürfnisse des Menschen? Diese Frage kann nur der Arbeitende selbst aufgrund
seines Verantwortungsgefühls beantworten. Deswegen ist der Kampf um 'rechten
Lebenserwerb' ebenso wichtig wie der Kampf um industrielle Demokratie. Wenn
eine Arbeit in sich wertlos ist, kann sie keine Berufung sein, mag man das
Arbeitsleben noch so sehr demokratisieren. Wenn wir die Menschen auffordern,
sich verantwortliche Arbeit zu suchen – Arbeit, die sie als Abbild ihrer
persönlichen Bestimmung lieben können –, dürfen wir nicht erwarten, dass sie
weiterhin stupide oder hässliche Tätigkeiten verrichten. Wir dürfen nicht
erwarten, dass sie weiterhin für die Rüstungsindustrie oder für die Madison
Avenue arbeiten, dass sie 'Volksbomben' produzieren oder Parteipropaganda
drucken. Eine Berufung lässt sich nicht auf eine Lüge bauen.
Die Welt, in der wir
leben, diese hochindustrielle Welt, die wir als Norm für `hohen
Entwicklungsstand' hinstellen, gibt sich alle Mühe, die Arbeit in einem Zustand
zu halten, wo sie schlecht und sinnlos ist. Das geschieht im Namen des
Wachstums, der Nationalen Sicherheit und des Lebensstandards, doch im Grunde geht
es um Arbeiten, die es nicht wert sind, dass wir unsere besten Kräfte an sie
verschwenden:
Höker-Jobs — teuren Schund
erfinden und anpreisen und an leichtgläubige Kunden verkaufen.
Fleißige-Lieschen-Jobs —
endloses Sortieren, Aufzeichnen, Abheften und elektronisches Verarbeiten
unerschöpflicher Mengen von Daten und statistischen Phantomen.
Mandarin-Jobs —
Koordination und Überwachung von bürokratischen Hierarchien und Bataillonen von
Bürokräften, einer Maschinerie, die sich oft nur um sich selbst dreht.
Finanzschieber-Jobs — mit
Geld und Krediten jonglieren, Lücken in der Steuergesetzgebung und schnelle
spekulative Gewinne ausschnüffeln (Immobilien, Wechselkurse, Wertpapiere).
Frust-Kompensations-Jobs —
Vermarktung von Talmi-Glanz und Ersatzfreuden, die einzig und allein dazu da
sind, Langeweile und Frustration des Arbeitslebens zu lindern: Zuschauersport,
Massenmedienunterhaltung, Superstars, Pauschalreisen, teure Spielzeuge für
.kreative Freizeitgestaltung'.
Bullen-Jobs — für
Sicherheit vor den langen Fingern und der Gewalttätigkeit der Habenichtse
sorgen, die Straßen überwachen, das Gesindel in die Gerichte treiben, die
Gefängnisse bewachen, in Bank-, Schul- und Personalunterlagen herumschnüffeln.
Soziale Schmieröl-Jobs –
die .Unfallopfer' der Gesellschaft einsammeln, dafür sorgen, dass sie nicht aus
dem Laufgitter der öffentlichen Unterstützung herausfallen, die soziale
Unzufriedenheit unter dem Siedepunkt halten. Und ganz oben drauf haben wir die
Milliardenschieberei – Kartellbildung, multinationale Manöver, das
Sich-in-die-Hände-arbeiten von Industrie und Militär –, die korrupte Seele
unserer Wirtschaft. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern, ein wucherndes
Geflecht von Verschwendung und Korruption, von dem so gut wie jeder in seinem
Arbeitsleben berührt ist. Wie viele von uns sind nicht wenigstens irgendwo am
Rande damit verknüpft – ob es ihnen passt oder nicht, ob sie es wissen oder
nicht? Mein eigener Beruf, die Hochschulausbildung, hat im Lauf der letzten
Generation mächtig Fett angesetzt, indem er das Personal heranzüchtet, aus dem
diese florierende Überschuss-Wirtschaft ihre leitenden Funktionäre und
White-Collar-Laufburschen bezieht.
Viele, die allzu tief in
dieses gesellschaftlich wertlose Einnehmen und Ausgeben verstrickt sind, werden
vielleicht nie überschauen können, in welchem Gesamtzusammenhang ihre Arbeit
steht. Das ist die eigentümliche moralische Ausrede, die die Undurchschaubarkeit
der gesellschaftlichen Verhältnisse uns in die Hände spielt. Sie erlaubt uns,
in aller Stille an kleinen, scheinbar ganz unschuldigen Teilen großer,
schmutziger Projekte zu arbeiten. Das wahre Ausmaß der Mitschuld wird sich
vielleicht nie aufzeigen lassen, aber die ethische Seite der Sache lässt sich
nicht ableugnen und sie muß in jeder aufrichtigen Diskussion über Arbeit
angesprochen werden. Manche Arbeit ist gut und nützlich, andere nicht. Arbeit,
die nicht gut und nützlich ist, verschwendet das Leben der Menschen und die
Reserven der Erde – und die Industriegesellschaft erzeugt erschreckend viel von
solcher Arbeit. In unserer Suche nach wahrer Berufung stehen wir hier vor einem
gewaltigen Hindernis. Denn es könnte sein, dass wir größtenteils mit Arbeiten befasst
sind, die ein gesundes Verantwortungsgefühl uns eigentlich verbieten sollte.
Arbeit in der vormodernen Welt
Das Arbeitsleben ist nicht
immer so gewesen. Auch in der Vergangenheit war die Arbeit sicher oft
zermürbend und ausbeuterisch, aber kaum so von Grund auf stumpfsinnig, als sei
sie für Zombies gedacht, und nicht so verschwendungssüchtig, dass sie eine
Sünde wider die Natur wurde.
In vormodernen
Gesellschaften sind die meisten Menschen Bauern, Handwerker und Hausfrauen –
und Kinder, die diesen Broterwerb von ihren Eltern erlernen. In primitiveren
Gesellschaften sind sie Jäger, Fischer, Sammler, Nomaden. All das ist
`gelernte' Arbeit einer unbestreitbar nützlichen Art. Sie erfordert sorgfältige
Schulung, Erarbeitung des überlieferten Wissens, ständige Forderung von
Urteilskraft und Initiative. Bei der Arbeit sieht man selbst, wie gut man sie
beherrscht, und strebt eine Könnerschaft an, mit der man vor den anderen
bestehen kann. Es gibt einen Unterschied zwischen einem guten Bauern und einem
schlechten, einem guten Jäger und einem schlechten – und diesen Unterschied
nimmt die Gemeinschaft sehr wichtig, denn alle sind davon betroffen. Wer sich
in diesen Dingen vervollkommnet, bildet seinen Scharfsinn aus, erweitert seine
Erfahrung, entwickelt seine Inspiration – und diese Größen erweitern und
definieren die Persönlichkeit.
Die arbeitenden Menschen
solcher Gesellschaften können – zumindest untereinander – auch da eine
Gemeinschaft gegenseitiger Anerkennung und kritischer Wertschätzung sein, wo
sie in übelster Weise ausgebeutet werden – und nicht, weil sie untereinander
,nett' sind wie Büroangestellte, die ihre fade Arbeit durch Höflichkeiten und
Scherzchen auflockern, sondern weil ihre Arbeit ein echtes Maß für ihr Können
ist und einem für alle bedeutungsvollen Projekt gilt. Dies ist ein letzter
kultureller und persönlicher Wertmaßstab, denn es gibt in unserer Natur ein
instinktives Qualitätsbewußtsein, das gute Arbeit von Pfusch und Schwindel
unterscheiden kann und diesen Unterschied auch wichtig nimmt. Auch die Frauen
sind in traditionellen Gesellschaften mehr als `bloß' Hausfrauen, für die wir
sie fälschlich ansehen könnten. Sie verfügen über eine erstaunliche Vielzahl
häuslicher Fertigkeiten; sie sind Hebammen, sie bebauen den Garten, sie kochen,
backen, töpfern, weben, nähen, gerben, verarbeiten das Fleisch, sie verstehen
sich auf Medizin, Ritual und natürlich auf die Erziehung der Kinder. Selbst in
ihrer Unterjochung kann man die Frauen vormoderner Gesellschaften – zumindest
die nichtaristokratischen Frauen – nach ihrer wirklichen Befähigung zu
achtbarer Arbeit beurteilen.
Wo Männer und Frauen
solche Arbeit verrichten, werden sie das nötige Können und
Verantwortungsbewusstsein dazu mitbringen und an ihrer Arbeit reifen. Von Natur
aus bietet diese Arbeit mindestens soviel Spielraum für persönliches Wachstum, dass
Kinder sich zu Erwachsenen mit wertvollen Fertigkeiten entwickeln können; sie
müssen nicht „absurd aufwachsen". Die Menschen haben die Sicherheit, dass
das, was sie mit ihrem Leben anfangen, richtig ist; ihre Arbeit folgt klar
ersichtlichen und einsehbaren Notwendigkeiten – vielleicht hängt das Überleben
der ganzen Gemeinschaft davon ab.
Ich möchte die
Lebensumstände vormoderner Menschen nicht romantisieren. Ich weiß, dass sie
große physische Lasten zu tragen haben. Mir ist auch bewusst, dass solche
Gesellschaften beim Eintritt in ihre zivilisierte Phase unweigerlich unter die
Herrschaft aristokratischer Eliten fallen, die die unteren Klassen ausbeuten
und ihre Arbeit verächtlich als roh und schmutzig betrachten. Ansehen, Reichtum
und Geschmack werden Vorrechte parasitärer Elemente und zugleich kommt ehrliche
Arbeit immer mehr in den Ruf, niedrig, gemein und lästig zu sein – niemand wird
dann noch sehen wollen, dass Arbeit auch Berufung sein kann. Dafür werden jetzt
verfeinerter Geschmack und verschwendungssüchtiger Müßiggang die höchste
Wertvorstellung der Gesellschaft; kulturelle Kreativität verliert jede
Beziehung zur täglichen Arbeit und wird ein reines Freizeitphänomen.
Doch all das ist
Verschleierung der Tatsachen. In Wahrheit bleibt die Arbeit einfacher Menschen
in traditionellen Gesellschaften unter allen Umständen ein achtbarer und
anspruchsvoller Lebensinhalt; Arbeit kann hier Berufung sein, auch wenn ein
ausbeuterisches System diese Tatsache verdeckt. In der vormodernen Gesellschaft
gibt es so etwas wie 'ungelernte' Arbeit nicht, das ist die entscheidende
Tatsache. Es gibt keine Arbeiter, die nur Zusatzaggregate von Maschinen und
Montagebändern sind; es gibt unterhalb der privilegierten Klassen niemanden,
dessen Lebensarbeit sich aus Stumpfsinn und leerer Betriebsamkeit zusammensetzt.
"In elender Schinderei"
Beim Eintritt in die
Moderne setzt eine merkwürdige und widersinnige Entwicklung ein. Die großen
revolutionären Umwälzungen, denen die Geschichte die urban-industrielle
Gesellschaft verdankt, waren in erster Linie bürgerliche Bewegungen, und ihre
Leitideologie war überwiegend eine Arbeitsideologie. Monarchie, Priesterschaft
und Adel wurden als parasitär entlarvt und mit Recht abgeschüttelt. Die
begüterte Mittelklasse verschaffte sich eine neue Identität als Ort der
Produktivität, auf den die Gesellschaft nicht mehr verzichten konnte. Männer
von Wagemut und Einfallsreichtum – Kaulleute, Geschäftsinhaber, Unternehmer und
Techniker – würden die Welt erneuern, den Fortschritt einleiten, die Würde des
Menschen verteidigen. Irgendwie mischte sich noch die calvinistische Ethik von
Fleiß, Genügsamkeit und achtbarer harter Arbeit in die Ideologie der
bürgerlichen Revolution, und so waren alle Voraussetzungen gegeben, um die
Arbeit zu neuen Ehren zu bringen und die Berufung wieder zu entdecken.
Dem aber stand ein anderer
Zug des Mittelklassen-Arbeitsethos im Weg. Der Calvinismus betrachtete Arbeit
nicht als befreiende Freude, sondern als Fluch und Strafe von oben, die der
Gottesfürchtige als Prüfung über sich ergehen lassen musste. Arbeit war wie
sexuelle Scham ein Zeichen des Sündenfalls; sie hatte nichts mit Erfüllung zu
tun, sondern sollte die Begierden zügeln und den Willen disziplinieren. Sie war
eine Erfahrung der Selbstverleugnung, nicht der Selbstentdeckung. Max Weber
nennt das neue Arbeitsethos „weltliche Askese" – das strenge Regiment
eines Arbeitgeber-Gottes, dem man sich zum Wohl der eigenen Seele unterwerfen
muß. Wohlstand durfte man nicht genießen, sondern nur als Zeichen göttlicher
Auserwähltheit demütig hinnehmen. Man durfte wohl Reichtum anhäufen, aber
niemals Freude daran zeigen. Diese Ethik verlieh zwar weltlichem Streben eine
gewisse düstere Würde, beraubte die Arbeit indes andererseits aller
ästhetischen, sinnlichen und schöpferischen Möglichkeiten. Sie wollte, dass
Arbeit Mühsal sei, denn sie verherrlichte die Disziplin des Ertragens.
Natürlich hat die
puritanische Askese den Kapitalismus nicht allein entstehen lassen. Der
Räuberbaron, der pfiffige Erfinder, der großspurige Industriekapitän hatten
ihren Anteil daran. Das herbe calvinistische Arbeitsethos war überdies mit
hochfliegenden Gedanken über revolutionären Fortschritt durchsetzt, die zu
vielen Hoffnungen Anlass gaben. Doch für Fortschritt gibt es einige höchst
sonderbare Maßstäbe – und manche haben nichts mit Glück oder Erfüllung zu tun.
Es gibt einen Fortschritt der Effizienz und Produktivität, der nicht zögert,
jede menschliche Wertvorstellung seinen manischen Entwürfen aufzuopfern. Das
war die Art von strammer rationaler Ordnung, die den Saint-Simonisten und den
Benthamisten zusagte. Wo alle religiösen Beimischungen fehlen, kann diese Art
utilitaristischer Rationalität so lebensfeindlich werden wie die calvinistische
Strenge in ihrer extremsten Form.
Der ökonomische Gedanke,
der den frühen Industrialismus leitete, ist eine unansehnliche Kreuzung aus
Calvinismus und Utilitarismus. Von dieser Mixtur leitet sich eine wahrhaft
.unfrohe Wissenschaft' ab, die fest damit rechnet, dass Elend, Armut und
Klassenherrschaft mit der Zeit immer schlimmer werden. Die klassische Ökonomie
wurde so umgearbeitet, dass Leiden und Entwürdigung sich als
Naturnotwendigkeiten aus ihren Gesetzen ergaben. Man könnte genauso gut sagen,
das Leben auf Erden sei dazu verdammt, ein langer, leidvoller Untergang zu sein
und der industrielle Fortschritt sei des Teufels Schmelztiegel. William Blake
erkannte den dämonischen Zug der neuen Ökonomie. In seinen düsteren
prophetischen Epen sah er die neue Industriegesellschaft sich wie eine
Höllenlandschaft ausbreiten, ein Fegefeuer für Menschheit und Erde, entstanden aus
fehlgeleiteter religiöser Energie. Selbst ein begabter Handwerker, entsetzte
ihn der Einfluss des Industrialismus auf die Arbeit zutiefst. In die Erfahrung
der arbeitenden Menschen war etwas eingedrungen, das es noch nie gegeben hatte:
ungelernte Arbeit, Arbeit, die in sich charakterlos war, in der es keinen Platz
für Urteilsvermögen und Stil gab. Eine ökonomische Wissenschaft, die alles
menschliche Tun abstrakten Effektivitätsmaßstäben unterwarf, entblößte die
Arbeit aller Unmittelbarkeit und Integrität. Sie wurde von Maschinen
atomisiert, in immer kleinere und endlich vollkommen geistlose Arbeitsgänge
unterteilt, so dass die angeblich 'freien' Arbeiter zum ersten Mal in der
Geschichte der Menschheit buchstäblich nicht mehr wussten, was sie taten. Blake
beklagte diesen Zustand:
„Und all die Künste des
Lebens, sie wurden Todeskünste in Albion.
Das Stundenglas,
verachtet, weil seine schlichte Kunstfertigkeit
Wie die Kunstfertigkeit des Pflügers war & des Wasserrades,
Das Wasser in Zisternen
schöpft, zerbrochen und ein Raub der Flammen...
Und an ihrer Statt wirbelte ein vielzähniges Räderwerk, Rad umkreist Rad,
Um die Jugend zu blenden
und an die Arbeit zu ketten in Albion
Tag & Nacht die Myriaden der Ewigkeit; auf dass sie schleifen
Und glätten Bronze & Eisen Stunde um Stunde in mühsamer Pflicht,
Unwissend gehalten, zu welchem Gebrauch; auf dass sie die Tage des Wissens
Hinbringen in elender Schinderei um karges Brot,
Unwissend einen kleinen Teil sehen & für das Ganze halten.
Demonstration nennen sie es,
blind für all die
einfachen Regeln des Lebens.“ (3)
Arbeit dieser Art, die
„elende Schinderei" der Fabrikhände, die „einen kleinen Teil sehen und für
das Ganze halten" müssen, ist die kennzeichnende Schöpfung industrieller
Produktion. Sie beruht auf den abwegigen Effektivitätsnormen, die aus
Rationalisierung und Arbeitsteilung hervorgingen. Von Anfang an war die Fabrik
ein Ort für die Ungelernten – notdürftig eingewiesene Frauen und Kinder, bloßes
Hilfspersonal einer ungeheuren Maschinerie, die die eigentliche Arbeit tat. In
keiner Gesellschaft hat es solche Arbeit als permanente und tragende
ökonomische Institution jemals gegeben. Entfernte Ähnlichkeit besteht
allenfalls mit der Sklavenarbeit in Bergwerken und Steinbrüchen, wie sie in der
Antike üblich war, oder mit der der Galeerensträflinge. So weit müssen wir
hinuntersteigen, um einen Vergleich für Fabrikarbeit zu finden. Und eben diese
Arbeit wurde jetzt als Geheimnis des ökonomischen Fortschritts, als Aufbruch in
die Zukunft gepriesen.
„... die einfachen Regeln
des Lebens." Vielleicht sind wir manchmal cleverer, als uns moralisch gut
tut. Unsere Maschinen und Produktionssysteme sind gewiss erstaunlich, doch wir
haben vergessen, dass das Tun so wichtig ist wie das, was getan wird, das
Machen so wertvoll wie das Gemachte. Ökonomie ist nicht nur die Wissenschaft
der Waren, sondern auch die Wissenschaft vom Bedürfnis des Menschen nach einer
Arbeit, die ihm nicht seine Selbstachtung raubt.
Viele der schlimmsten
Auswirkungen des frühen Industrialismus sind im Lauf des letzten Jahrhunderts
abgebaut worden. Die klassische Ökonomie wurde vom Sozialismus und anderen
humanistischen Schulen ökonomischen Denkens angegriffen. Knappheit und
primitive Akkumulation sind in den entwickelten Gesellschaften der
Massenkonsumwirtschaft und dem Wohlfahrtsstaat gewichen. Vieles hat sich
geändert. Doch die Arbeit trägt auch in der modernen Gesellschaft noch das
Brandzeichen des Industrialismus. Wir haben uns an die Zerstückelung der Arbeit
gewöhnt und an vertikale Management-Hierarchien, die dazu da sind, alles
zusammenzuhalten; Hilfsarbeit und ungelernte Arbeit sind feste Kategorien
geworden; die Arbeiter betrachten die Arbeit nach wie vor als beklagenswerten
Zwang, nur fehlt ihnen jetzt die spirituelle Stütze und die Disziplin des calvinistischen
Glaubens. Jetzt richten sie ihre Hoffnungen darauf, die Plackerei zu mildern
oder ihr zu entkommen – aber sie sind natürlich durch materielle Bedürfnisse an
sie gebunden.
Vor allem erfinden wir
aber immer neue Formen der Mechanisierung und machen die Arbeit mehr denn je
zur Domäne der Maschine. Solcher Fortschritt bedroht die Arbeiter zwar mit
Arbeitslosigkeit, doch die Leute glauben überall, eine wirklich moderne
Wirtschaft müsse kapitalintensiv sein, weil das allein Befreiung von der Arbeit
verspricht. Derweil läuft die tägliche Mühle weiter; immer mehr verlagert sich
das Schwergewicht auf teure Maschinenparks im Mittelpunkt des Arbeitslebens:
sie bestimmen
die Jobs, geben den
Schritt an, erledigen den Papierkram, übernehmen mehr und mehr von Management
und Verwaltung.
Kein Zweifel, dass
kapitalistische Ausbeutung einer der wichtigsten Züge der industriellen
Geschichte ist. Früher oder später werden wir uns jedoch der Maschine als einem
unabhängigen Faktor im Niedergang der Arbeit zuwenden müssen, einem Faktor, der
selbst in nicht-kapitalistischen Gesellschaften spürbar ist.
Mit dieser Kritik handelt
man sich leicht den Vorwurf einer 'antitechnologischen' Einstellung ein. Ich
will aber nicht darauf hinaus, dem Industrialismus seine Erfindungsgabe und
seine schöpferischen Möglichkeiten abzusprechen. Vielmehr behaupte ich, dass
diese Möglichkeiten im Keim erstickt wurden, weil die Maschine von vornherein
nicht als Mittel zur Bereicherung des Arbeitslebens konzipiert war. Sie war zum
Beispiel nicht auf die bestehenden Handwerkstraditionen zugeschnitten – zur
Erleichterung der Arbeit und Verbesserung der Techniken. (Das war es übrigens,
was die vielbeschimpften Maschinenstürmer des frühen 19. Jahrhunderts wollten:
eine behutsame allmähliche Anpassung der industriellen Technologie an die
Strukturen ihres Handwerks. Sie stürmten die neuen Maschinenwebstühle erst, als
sie Waffen für die Zerstörung qualifizierter Arbeit wurden.)* Anstatt
harmonisch in die Arbeitsstruktur der Gesellschaft hineinzuwachsen, wurde die
Maschine gewaltsam allen Bereichen des ökonomischen Lebens aufgepfropft – ohne
den Versuch, das überlieferte Wissen des Handwerks nutzbar zu machen, ohne
Gespür für Würde und Integrität menschlicher Arbeit.
Die Industrialisierung war
nie eine Sache von Arbeitern, die Technologien für die bessere Nutzung ihrer
Fertigkeiten suchten; sie ist Sache von Außenstehenden – von Unternehmern,
Finanziers, Politikern, Technikern und diversen industriellen Experten, die vom
Sinn der Arbeit als Berufung oft nicht das geringste wissen. Sie setzen ihre
Interessen und Ideen gewaltsam gegen wehrlose und meist unorganisierte
Arbeiterschaften durch, und oft auch noch mit der Absicht, ganze
Handwerkstraditionen zu verdrängen oder die Wirtschaft völlig umzukrempeln. Dieses
Verfahren ist keineswegs auf die kapitalistische Form des Industrialismus
beschränkt. Die gleichen Willkürmethoden wurden von eifrigen Marxisten
angewendet, um die russische Agrarwirtschaft zu 'modernisieren' – mit der
Absicht, die alten Agrarstrukturen verschwinden zu lassen. Und im Westen
bestand einfach kein Interesse daran, menschenwürdige Arbeitsverhältnisse durch
Anpassung neuer Technologien an überlieferte Arbeitsweisen zu erhalten. Mit der
Mechanisierung wurde aller Widerstand von der Bildfläche gefegt, um Platz für
eine ganz neue, von der Stadt gesteuerte Produktionsweise zu schaffen.
Die Rechtfertigung für
solche Strategien ist immer die gleiche: neue Technologien sorgen für mehr
Macht, mehr Profit, mehr Produktivität. Oft trifft das zu, es wird tatsächlich
mehr produziert. Vielleicht wird es sogar gerecht verteilt ... irgendwann
einmal. Doch gerechter Anteil und soziale Sicherheit sind nicht die einzigen
Werte, die hier auf dem Spiel stehen. Es steht noch ein menschliches Bedürfnis
zur Diskussion: das Bedürfnis nach rechtem Lebenserwerb. Was wird aus diesem
Bedürfnis, wenn der industrielle Fortschritt die Traditionen einstampft und
eben jenem Empfinden, das dieses Bedürfnis hervorbringt, den Krieg erklärt?
Die Mechanisierung übernimmt das Steuer
Es wäre töricht zu sagen,
die Maschine sei schuld an der Entfremdung im modernen Arbeitsleben. Nicht
Maschinen, sondern Menschen lassen die Dinge geschehen. Die Maschine traf auf
eine bereits verzerrte Arbeitsethik, die Arbeit als gerechte Strafe für eine
gefallene Menschheit ansah. So kam die Arbeit im Zuge der Industrialisierung zu
einer neuen – abstrakten – Sinngebung: Profit und Produktivität. Je mehr die
Arbeit als öde Plackerei angesehen wurde, desto mehr neigte man dazu, sie den
Maschinen zu überlassen – gefühllosen eisernen Sklaven, die ohne Freude oder
Verantwortung an jeder Aufgabe arbeiteten, die ihnen zugewiesen wurde. Wieder
wurde die Arbeit, wie in der aristokratischen Vergangenheit, einer niederen
Daseinsebene zugerechnet, aber jetzt kam noch etwas Lebloses, Fremdes, nicht
mehr Menschliches hinzu. Musste das nicht eine ganz besondere Demütigung für
all jene sein, deren Arbeit der von Maschinen am ähnlichsten war oder ganz
unter der Herrschaft mechanisierter Systeme stand? Und ist es nicht ganz
natürlich, dass sie dieser Demütigung zu entgehen versuchten und immer weitere
Verkürzung der Arbeitszeit zugunsten der Freizeit forderten?
Jeder, der Charlie Chaplin
in Modern Times hilflos in den Apparaturen zappeln sah oder in 2001 verfolgte,
wie der Computer HAL das Raumschiff in die Katastrophe steuerte, wird dieses
Bild des Menschen als Anhängsel einer feindseligen Maschinerie sicher nicht so
bald wieder los. In diesem Bild sehen wir, wie die Arbeit dem Bereich des
Subhumanen angepasst wird – und nicht nur die Muskelarbeit. Selbst Kopfarbeit –
Management, Planung, Entscheidung – wird zur Domäne `denkender' Maschinen, die
(so fürchten immer mehr, bestärkt von den Erfindern und Anbietern solcher
Maschinen) schneller, besser und zuverlässiger denken können als Menschen.
Nein, es wird nie eine Zeit geben, in der die Maschine ohne uns auskommt; das
ist eine Science-Fiction-Fantasie. Aber wir haben die entscheidende Schlacht
schon verloren. Wir haben Millionen schwer arbeitender Männer und Frauen davon überzeugt,
dass Arbeit eigentlich nur von Maschinen getan werden sollte, dass Fortschritt
mit 'Einsparung' von Arbeitskraft identisch ist – zumal die Maschinen die
Arbeit ohnehin besser verrichten. Folglich wird die Freizeit immer mehr das,
was die Arbeit einst war: der Bereich für Kreativität, Freiheit und Wachstum.
Und so träumen wir davon, eines schönen Tages, wenn der Fortschritt
abgeschlossen ist, in einer arbeitsfreien Welt zu leben, einem kybernetischen
Utopia, wo die Gesellschaft endlich "menschlichen Gebrauch von
menschlichen Wesen macht" – um einen Ausdruck zu gebrauchen, den Norbert
Wiener, der Vater der Kybernetik, prägte.
Die meisten Leute haben
wohl genug gesunden Menschenverstand, um solche Träumereien als Hirngespinste
zu erkennen. Doch sickern solche Vorstellungen in Journalismus, Literatur und
selbst in seriöses ökonomisches Denken ein, und eine Wirkung ist damit sicher
erreicht: Die Arbeit wird Schritt für Schritt aus dem menschlichen Dasein
gelöscht. Sie wirkt schon fast wie ein marginaler Anteil eines riesigen,
fremden Bereichs namens `die Wirtschaft', der von Maschinen und
Maschinensystemen beherrscht wird, von komplexen technischen Zusammenhängen,
die nur verstehen kann, wer Zugang zu Datenbanken und Computer-Verbundsystemen
hat. Ordinäre Arbeit zählt in diesem Mammutmechanismus nicht mehr viel, dafür
aber Management, Planung, Beratung, Programmierung, Entscheidung –
hochspezialisierte Tätigkeiten, deren Prestige darauf beruht, dass sie noch
nicht von Maschinen ausgeführt werden können ... noch nicht.
Die tägliche Arbeit
gewöhnlicher Menschen ist hier nur noch statistische Ziffer. Grund genug,
anderswo einen Sinn zu suchen. Wo früher die Arbeit als unverzichtbarer Aspekt
verantwortungsbewußter Reife im Mittelpunkt des Lebens stand, haben wir deshalb
jetzt Erholung ... Spiel... Hobbies ... die Freuden des Sex... Spaß und Sport,
die zusammen auf eine Art Ganztags-Konsumismus hinauszulaufen scheinen:
extravagante Wünsche pflegen, Sachen kaufen, Sachen verbrauchen, neue kaufen.
Die Demontage der Arbeit
und die Ökonomie der Verschwendung: Bindeglied zwischen diesen beiden ist eine
falsch konzipierte Maschinentechnologie, die die Arbeit ersetzen sollte,
anstatt sie aufzuwerten. Dieser Irrtum ist inzwischen soweit gediehen, dass die
offizielle Wirtschaftsplanung die Arbeit vorwiegend als ein Mittel betrachtet,
Geld in die Hände der Leute zu bringen, damit sie zu brauchbaren
Nachfrageeinheiten werden. Der Inhalt der Arbeit zählt nicht mehr, nur noch die
Lohntüte am Ende der Woche. Unter dem Gesichtspunkt dieses ökonomischen Kalküls
kann alles, was Kaufkraft erzeugt, die Arbeit ersetzen: ein garantiertes
Jahresgehalt, Sozialfürsorge, Steuererleichterung. Für die ökonomischen
Indikatoren sind das austauschbare Mittel zur Manipulation der Wirtschaft. So wägen
Regierungschefs und ihre Berater mit ernster Miene die öffentlichen Ausgaben
gegen die Preisstabilität ab und treffen ihre Wahl – vielleicht auf Grund
irgendwelcher rein statistischer Hilfsmittel wie der Phillips-Kurve, die – aus
dem Blickwinkel der Wirtschaftsführung – eine Beziehung zwischen
Arbeitslosigkeit und Inflation herstellt. Und wenn die Entscheidung
'Arbeitsbeschaffung' lautet, dann ist ganz unwesentlich, ob die Leute
eingestellt werden, um Atomraketen
herzustellen oder um
Krankenhäuser zu bauen. Ein Job ist ein Job, Geld ist Geld.
Eine Ökonomie, die sich um
den Sinn wahrer Berufung nicht schert, wird sich nie den Bedürfnissen der
Person unterordnen.
Unsere Arbeit ist unser Leben
Industrieller Fortschritt
verlangt ein Maximum an Technologie zur Arbeitseinsparung. Wo der Fortschritt
in den Händen des privaten Kapitals liegt, wird immer der Profit entscheidend
sein, und das Resultat ist technologische Arbeitslosigkeit. Gerechtfertigt wird
das damit, dass Arbeitseinsparung Freizeit schafft, und darum geht es ja
schließlich im Leben.
Ich möchte hier die
radikal entgegengesetzte Position einnehmen, dass unsere Personalität in
verantwortlicher Arbeit verwirklicht wird. Wirklicher Fortschritt ist deshalb
nicht mit Arbeitseinsparung zu erreichen, sondern nur mit der Bewahrung der
Arbeit vor wahlloser technischer Weiterentwicklung. Sie bewahren, das heißt:
sie ganz und wirklich machen. Arbeit ist ein notwendiger Bestandteil des
menschlichen Daseins – nicht bloßes Überlebensmittel, sondern von größter Bedeutung
für die Selbstentdeckung. Wir haben das Bedürfnis zu arbeiten und das Recht zu
arbeiten, und weder das Bedürfnis noch das Recht muß sich durch den Nachweis
seiner Profitabilität oder Produktivität rechtfertigen – so wenig, wie man von
dem Bedürfnis zu lieben, zu spielen, zu wachsen eine Kosten-Nutzen-Rechnung
verlangen sollte. Unsere Arbeit ist unser Leben, aber in einer Welt, die uns
unserer natürlichen Berufung beraubt, können wir unser Recht auf
Selbstentdeckung nicht wahrnehmen.
Soll die Welt deshalb
aller industriellen Technologie abschwören und wieder .primitiv' werden?
Absolut nicht. Es muß keinen Widerspruch zwischen einem Handwerker und seinen
Werkzeugen geben, und die richtige Maschine in den Händen eines geschickten und
selbständig arbeitenden Menschen kann nur zur Freude an der Aufgabe und zum
Gelingen des Werks beitragen. Die Weiterentwicklung von Werkzeug und Maschinen
gehört mit zum Handwerk und ist Ausdruck von Kreativität. Doch große
industrielle Systeme und die ihnen zugrunde liegende ökonomische Wissenschaft
sind mit echtem Gefühl für Berufung gewiss unvereinbar. Wo der Arbeit und ihren
Traditionen Mechanisierung von außen massiv aufgezwungen wird – wie es in der
westlichen Gesellschaft in den letzten beiden Jahrhunderten und heute auch
überall in der Dritten Welt geschieht –, müssen Handwerk und verantwortliche
Arbeit auf der Strecke bleiben. Diese Art von `Fortschritt' schaut nur noch auf
das Produkt der Arbeit; er will den Verkaufserlös, vergisst aber den Wert des
Machens.
Es genügt auch nicht zu
sagen, dass eine expandierende Wirtschaft die Zerstörung der Arbeit durch
Schaffung neuer Arbeitsplätze ausgleicht. Das stimmt zwar, doch kommen wir
damit auf eine ganz andere ökonomische Ebene. Große Systeme tragen uns in ein
neues ökonomisches Universum, wo Arbeit einem anderen Rhythmus folgt und
anderen Charakter hat. Sie ist fragmentiert, hierarchisch und aufs äußerste
spezialisiert; sie hängt davon ab, dass neue Wünsche geweckt und neue Märkte
erschlossen werden; sie stützt sich immer mehr auf Werbung und
Absatzsteigerung, auf Verwaltung und Koordination, auf Papierkrieg und Personalmanagement;
sie verstädtert die Bevölkerung und reißt die Menschen von ihren ökologischen
Wurzeln los; sie entfernt sich immer weiter von Verantwortlichkeit und
persönlichem Engagement.
Ich kann nicht sagen, ob
dieses historische Muster, das sich in jeder hochindustrialisierten Wirtschaft
wiederholt, in kapitalistischen wie in kollektivistischen, unvermeidlich ist.
Ganz gewiss ist es dort unausweichlich, wo neue Technologien nicht behutsam an
vorhandene Arbeitstraditionen angeglichen werden, so dass Arbeit als Berufung
überleben kann. Ich weiß nicht, wie groß oder klein eine Fabrik oder Wirtschaft
sein muß, um in diesem Sinn gesund zu bleiben, doch ein gesundes Gleichgewicht
wird nur da zu erreichen sein, wo außer Größe noch ein anderer Maßstab Geltung
hat. Dieser Maßstab heißt verantwortliche Arbeit, und man legt ihn wohl am
besten dadurch an, dass man den Arbeitern zugesteht, die Werkzeuge, Maschinen
und Systeme, die ihnen die Arbeit erleichtern, selbst den Erfordernissen ihres
Handwerks anzupassen.
Kein Arbeiter wird sich
dagegen sträuben, mit seiner Arbeit durch technologische Verbesserungen mehr
Menschen zu nützen. Aber wer seine Arbeit liebt, wird nicht zulassen, dass sie
durch Techniken zerstört oder entwertet wird, die ausschließlich darauf
angelegt sind, mehr zu produzieren – ohne dass erst danach gefragt wurde, wie
viel mehr man innerhalb des traditionellen Rahmens noch schaffen könnte.
Die sogenannte Grüne
Revolution mit ihren landwirtschaftlichen Massenertrags-Techniken stößt zum
Beispiel in armen Ländern auf immer mehr Widerstand. Die Bauern spüren, dass
diese neuen, aus der amerikanischen Agrarindustrie abgeleiteten Methoden die
Lebensfähigkeit kleiner Landwirtschaftsbetriebe bedrohen. Sie sind zu
technisch, zu teuer, zu kapitalintensiv. Wo dieser Widerstand nicht gebrochen
werden konnte, hat man mancherorts inzwischen billigere und leichter
integrierbare Formen der Produktionserhöhung gefunden – so einfache Dinge wie
Fruchtwechsel, richtige Fruchtfolge (so dass mehrmals im Jahr geerntet werden
kann), bessere Speichereinrichtungen und geschicktere Ausnutzung des Wassers.
Ein paar Agrarökonomen merken jetzt doch allmählich, dass der Ideenreichtum der
zwei Milliarden Bauern auf der Welt einer unserer am wenigsten beachteten
Aktivposten ist.
Worüber ich hier spreche,
mag für manche wie eine Anleitung zur Armut klingen – die Arbeit durch
Schrumpfung des industriellen Establishments von den Maschinen zurückerobern.
Dieser Punkt findet sich in den entwickelten Gesellschaften auf keiner
Tagesordnung von Regierung, Geschäftswelt oder Gewerkschaften. Was würde es uns
– materiell – kosten, solch eine alternative Wirtschaft maßvoller Mittel und
großer persönlicher Erfüllung aufzubauen? Diese Frage ist nicht zu beantworten,
denn wir haben keine Ahnung, wie viel wir wirklich brauchen, um gesund,
glücklich und sicher zu sein; in unserer Wirtschaft gibt es das Wort `genug´
nicht. Ganz sicher brauchen arme Länder von allem sehr viel, in erster Linie
Nahrungsmittel. Doch wie viel von dem, was sie brauchen, ist hier bei uns
vorhanden und wird vom Wohlstand einfach verschlungen? Wie viel Land, auf dem
Nahrung erzeugt werden könnte, wird an die ungesunden Gelüste reicher Gesellschaften
verschwendet, die ihren Kaffee, Tee und Tabak haben wollen und nur Fleisch von
Tieren essen, die mit dem teuersten Futter gemästet wurden?
Wir haben keine
Möglichkeit zu beurteilen, wie viel Produktivität für die entwickelten Länder
tatsächlich erforderlich ist. Wir fangen gerade erst an, ihre kolossale
Verschwendungssucht zu ermessen. Wir bestehen darauf, dass die Massenproduktion
von Schuhen weitergehen muß, aber wie viel Paar Schuhe pro Person halten wir
denn für notwendig, und wie lange soll jedes Paar halten? Sicher brauchen wir
Montagebänder, um Autos zu produzieren, aber wie viele Autos brauchen wir pro
Familie, wie dick und schick müssen sie sein, und wie haltbar könnten wir sie
machen – ohne den eingebauten Verschleiß? Schauen Sie sich um, wo Sie gerade
sind, und wenden Sie diese Frage auf alles an, was sie sehen. Wenn Sie Ihren
eigenen Maßstab moralischer Verantwortung anlegen, wie viel davon ist dann
wirklich nötig?
Würden wir nur die
Konsumvöllerei der Mittel- und Oberschicht etwas beschneiden (fangen wir damit
an, aber natürlich müssen wir uns auch irgendwann mit dem miserablen Zeug
abgeben, an das die Armen ihr mageres Einkommen verschwenden), wie viel
Massenproduktion brauchten wir dann in unserer Gesellschaft noch? Freilich,
gerade diese Vollere! verschafft ja den meisten Menschen Arbeit. Aber genau das
ist doch der Irrsinn des Systems, oder nicht? Wenn wir oben nicht mehr die
Luxusgüter kaufen, sorgen die herrschenden Wirtschaftsmächte dafür, dass unten
kein Brot mehr gebacken wird und niemand arbeitet. Keine Verschwendung, keine
Grundnahrungsmittel – das Geheimnis der expandierenden Wirtschaft.
Solange wir keine Ahnung
haben, was alles zu einem vernünftigen und gesunden Lebensstandard gehört, kann
niemand sagen, wie viel Arbeit tatsächlich im mechanisierten großen Stil getan
werden muß. Und wir haben keine Ahnung. Unsere angeblich so nüchterne
Wirtschaftswissenschaft ist ein Spielball wilder Konsumfantasien und infantiler
Praßsucht. Niemand sollte in diesem Beruf arbeiten dürfen, der nicht Tolstois "Wie
viel Land braucht der Mensch" gelesen hat.
Die Befreiung der Arbeit
Aber ganz abgesehen von
solchen Überlegungen könnte man sich fragen, ob es überhaupt realistisch ist,
derartige Forderungen an die industrielle Weltwirtschaft zu stellen. Ist das
nicht, als wollten Schmetterlinge etwas von dem Dinosaurier fordern?
Ich glaube, diese Frage
zäumt das Pferd vom Schwanz her auf. Wir sollten lieber fragen: Ist es
realistisch, das Bedürfnis der Menschen nach sinnvoller Arbeit weiterhin mit
geringschätzigem Schulterzucken zu quittieren? Ist es realistisch, so zu tun,
als könnten wir die Entfremdung im Arbeitsleben immer weiter treiben, ohne eine
Epidemie der Demoralisierung auszulösen, die die ganze Gesellschaft lahmen
könnte? Behalten wir im Auge, dass der urbane Industrialismus spirituell wie
ökologisch tatsächlich ein Dinosaurier ist, dessen Tage gezählt sind – eine
Kultur, die mit ihrer Auslöschung kokettiert. Unser Planet wird die Ausbreitung
einer Wirtschaftsweise der Verschwendung und Verantwortungslosigkeit nicht mehr
lange aushaken. Das ist der tiefere Grund, weshalb das Ideal der Berufung heute
anfängt, sich Gehör zu verschaffen. Auch in diesem entscheidend wichtigen
Lebensbereich stehen die Bedürfnisse der Person wiederum in Resonanz mit den
Bedürfnissen des Planeten, und wir sehen, wie die Menschen sich auf der Suche
nach dem menschlichen Maß spontan von allen großen Systemen lossagen, die die
Erde foltern.
Die Abkehr beginnt an den
Rändern und kommt nur stockend vorwärts. Aber die Zeichen neuen Wachstums sind
so deutlich wie die Symptome der Unzufriedenheit. Ich möchte ein paar meiner
eigenen Zufallsbeobachtungen zu einigen Voraussagen formulieren – eine
Impression über die Zukunft des Arbeitslebens in den Industriegesellschaften.
Wenn die Menschen im Verlauf der nächsten Generation immer tiefer zu den
Wurzeln der Entfremdung vordringen, erwarte ich, dass eine Reihe von Reformen
und experimentellen Ansätzen ziemlich rasch um sich greifen wird.
1. In allen Bereichen der
Wirtschaft wird man immer mehr nach Arbeitsaufwertung und nach Verbesserung der
Arbeitsbedingungen rufen, vor allem bei Büroroutine und Fließbandarbeit.
Experimente mit gleitender Arbeitszeit und Teamarbeit, größere Betonung von
Abwechslung und Flexibilität werden das Neuland des Personalmanagements sein.
Die großen öffentlichen und privaten Organisationen werden ihre Neuerungen zur
Verbesserung der Moral stolz herumposaunen. Sie werden uns erzählen, dass sie
die Arbeit 'personalisiert' und auf die Bedürfnisse ihrer Angestellten
zugeschnitten haben. Zugleich werden die Gewerkschaften mehr bezahlte Freizeit,
eine kürzere Arbeitswoche und längeren Urlaub fordern, und diese Punkte könnten
bei Tarifverhandlungen mehr wiegen als Lohn und Überstundenbezahlung. Bald wird
man diese Reformen in den Medien als 'Revolution des Arbeitslebens' preisen,
obgleich sie keine strukturelle Veränderungen der Wirtschaft bewirken und kaum
mehr sind als Symptompfuscherei.
2. Auch der Ruf nach mehr
Demokratie und Arbeiterselbstverwaltung wird immer häufiger zu hören sein. In
den größeren Industriezweigen wird eine neue Generation von
Gewerkschaftsführern Beteiligung an wichtigen Entscheidungen und mehr
Demokratie im Betrieb fordern, vielleicht nach dem Vorbild der Mitbestimmung,
wie sie in Skandinavien und Deutschland schon länger praktiziert wird und
neuerdings auch in Frankreich im Gespräch ist. Sie werden dabei wechselnden
Erfolg haben; vor allem den großen Firmen könnte es gelingen, ihre Bemühungen
nachhaltig zu blockieren. Doch aus kleineren Firmen und neueren Industrien
werden wir von einem neuen, aufgeklärten Stil des Managements hören, von der
Einführung verantwortlicher Partnerschaft in die Arbeit, vielleicht sogar
Gewinnbeteiligung.
3. Immer mehr Menschen
werden aus konventionellen Anstellungsverhältnissen aussteigen und sich mit
einem neuen Geist der Selbstentdeckung und des ethischen Engagements neue
Existenzen in Handwerk und Gewerbe aufbauen. Viele werden akademisch gebildet
sein, vielleicht sogar schon auf ein bestimmtes Berufsziel spezialisiert, aber
sie werden sich nach einer Arbeitsqualität umsehen, die in der Welt der
spezialisierten Fachleute nicht zu finden ist. Vielleicht werden sie
vorübergehend auf Sozialfürsorge angewiesen sein und sich mit einem einfachen,
anspruchslosen Leben begnügen müssen, doch das wird auch ein Teil ihrer Suche
nach Autonomie und Würde sein. Überall zeigen sich Ansätze einer Renaissance
des Handwerks, dessen Werkzeuge und Erzeugnisse bereits in vielen
Alternativläden zu kaufen sind; selbst eigene Bezugsquellenkataloge gibt es auf
diesem Gebiet schon. Die jugendlichen Dropouts der Sechziger haben manch altes
Handwerk vor dem Aussterben bewahrt, und immer mehr Menschen finden hier neue
Lebensgrundlagen. Die neuen alten Handwerke werden sicher auch bald ökonomisch eine
Rolle spielen, wenn sich herumspricht, dass man hier einen besseren Gegenwert
fürs Geld bekommt als im Kaufhaus. Die Gefahr besteht bei diesen neuen
Handwerken darin, dass sie nach und nach aus den Alternativkatalogen abwandern
und sich in den Boutiquen etablieren werden, um der nächsten Welle des Konsums
zu Diensten zu sein.
4. Immer mehr
Arbeitskollektive und Produktions-Kooperativen werden entstehen, in denen die
Menschen sich gegenseitig helfen, ihren Traum von erfüllter Arbeit zu
verwirklichen. Das können Handwerkskooperativen, Wartungs- und Reparaturkollektive
oder Geschäfte in gemeinsamer Eigentümerschaft sein. Es können auch größere
Produktionsbetriebe im Besitz der Arbeiterschaft sein. Viele dieser neuen
Kollektive werden vermutlich Frauengruppen sein, organisiert von
einfallsreichen Flüchtlingen aus Heim und Familie, die einen Rahmen für ihre
Selbstbefreiung suchen und entschlossen sind, nicht in männliches
Karrieredenken zu verfallen. Unabhängig von ihrer Gestalt und Herkunft werden
alle diese Unternehmungen den gleichen Geist haben, denn sie gehören denen, die
hier arbeiten und werden von ihnen geleitet, und damit bieten sie die
fortschrittlichste Form echter Arbeitsaufwertung. Effektivität und Erfolg
werden hier eher an der Erfüllung der Menschen durch die Arbeit gemessen als an
Umsatz und Ausstoß. Vor allem werden sie ehrlichen Handel mit den täglichen
Bedürfnissen der Menschen anstreben: echten Gegenwert fürs Geld und dabei ein
Maximum an persönlicher Aufmerksamkeit. Das jedenfalls ist meine Erfahrung im
Umgang mit solchen Kollektiven. Man steht Menschen gegenüber, die ihre Sache
verstehen und so gut wie möglich machen, die sich einfach daran freuen, endlich
eine sinnvolle Aufgabe zu haben.
5. Es wird auch immer mehr
abweichende Spezialisten geben – Mediziner, Juristen, Erzieher,
Sozialfürsorger, Berater, Stadtplaner, Wissenschaftler, Ingenieure –, die dem
verblassenden Idealismus ihrer Berufe wieder Geltung verschaffen wollen. Viele
werden .Anwalts-' und Vermittlerpositionen außerhalb ihres Berufs einnehmen und
nach dem Vorbild des in aller Welt bekannt gewordenen Verbraucheranwalts Ralph
Nader ständig Ärger machen und ein argwöhnisches Auge auf das Berufsethos ihrer
Kollegen haben. Sie werden das neue Berufsbild des entspannten Professionals prägen,
der sich nicht mehr hinter Formalitäten und Mystifikationen verbarrikadiert.
Viele werden sich auch zusammenfinden, um ihren Beruf in Juristengemeinschaften,
freien Kliniken, freien Schulen und radikalen Denkfabriken auszuüben und ihr
Wissen in den Dienst der Armen und Schutzlosen zu stellen. Die
Wirtschaftswissenschaftler unter ihnen werden in besonders interessante Bahnen
geraten, wenn sie sich etwa der Landreform, der Kommunalentwicklung und dem
Umweltschutz zuwenden. Sie werden ihren Beruf mit einem neuen ethischen
Bewußtsein erfüllen, das ebenso leidenschaftlich für seine Prinzipien eintritt
wie der Marxismus, aber weniger einseitig wissenschaftlich ausgerichtet ist und
dafür mehr Toleranz für traditionelle Lebensweisen und überliefertes Wissen aufbringt.
Sie werden viel für die Lebensfähigkeit der hier genannten Reformen tun, denn
ihre Kriterien für Effektivität, Machbarkeit und ökonomische Realität werden in
dem Bedürfnis der Menschen nach sinnvoller Arbeit wurzeln.
6. Schließlich werden im
Gefolge einer aggressiven landesweiten Kampagne für Landreform und
Rehabilitation ländlicher Bezirke immer mehr Familienhöfe und Landkommunen
entstehen. Dabei werden sicherlich biologische Anbaumethoden eingeführt, die
hohe Produktivität mit ökonomischer Nutzung der Mittel verbinden. Anders als in
den landwirtschaftlichen Kombinaten, mit denen Amerika jetzt überkrustet ist,
werden die Menschen hier in Partnerschaft mit der Erde arbeiten, anstatt ihr
mit Giften Profit abzupressen. Das Geheimnis ihres Erfolgs wird in
arbeitsintensiven Methoden und begrenzter Technisierung liegen. Vielleicht
werden sie dem Land wieder das Gesicht einer Demokratie á la Jefferson geben.
Wenn es stimmt, dass der
heutige Dissens von einem Bedürfnis nach Selbstentdeckung getragen wird, dann
kann keine Reform mehr als nur vorübergehende Befriedigung bringen, wenn sie
dem Arbeitsleben nicht den Geist echter Berufung zurückgibt. Wir werden sehen,
wie die Entfremdung Schicht um Schicht abgeschält wird, während die Leute diese
und jene Reform ausprobieren. Die Kernfrage wird nicht immer klar formuliert im
Vordergrund stehen; gelegentlich wird es so aussehen, als ginge es nur um
kürzere Arbeitszeit oder mehr Mitspracherecht. Ich vermute aber, dass
scheinheilige Konzessionen der Arbeitsaufwertung sich immer sehr schnell als
Schlag ins Wasser erweisen werden; Formen der Mitbestimmung, die den
Arbeitenden lediglich das Recht einräumen, bei der Verschwendung und Dummheit
ihrer Arbeitgeber mitzumachen, wird man schnell wieder ablegen. Schritt für Schritt
wird sich zeigen, was die Menschen wirklich suchen: die Chance, in ihrer Arbeit
eine Identität zu verwirklichen, die ihren höchsten Strebungen entspricht. Sie
werden erkennen, dass ihr Arbeitsleben nur dann befriedigend sein kann, wenn
sie die Verantwortlichkeit echter Berufung darin finden. Mit dieser Erkenntnis
– einer Wahrheit, die sich mit jeder Arbeitsstunde selbst bestätigt – werden
wir eine neue Ökonomie besitzen, die sich auf den Wert der Arbeit gründet,
anstatt auf den Preis von Waren; ihren natürlichen Ort wird sie unter den
moralischen Disziplinen finden.
Anmerkungen:
(1) Der Niedergang der Arbeitsmoral in Amerika, der
sich in Krankfeiern, Aufsässigkeit bei der Arbeit und hoher Fluktuation
niederschlägt, wird vor allem bei jungen Arbeitern zu einem dringenden Problem,
die in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren mit der Arbeit
anfingen. Das Krankfeiern nahm zun Beispiel in der Autoindustrie zwischen 1962
und 1972 um 100% zu, und das geht größtenteils auf das Konto der unter Dreißigjährigen
und zwar besonders derjenigen, die etwas Collegebildung besitzen. Sie Neal Q.
Herrick:”Who`s unhappy at Work and Why” ind Manpower, Jan. 1972, S. 3-7. Bei
den Stahlarbeitern stieg die Zahl der Disziplinarstrafen wegen Fernbleibens von
der Arbeit und allgemeiner Widerspenstigkeit von einigen Hundert 1965 auf 3400
in den frühen Siebziger Jahren, wiederum aufgrund der “Rebellion junger
Arbeiter”. Sie Bill Smoot: Life on the Job in: The Nation, 23.07.1977. manche
meutern am Fließband; andere steigen einfach aus der Arbeit aus. Business Week
(14.11.1977, S. 156-166) berichtet von einem dramatischen Anstieg der Zahl
nichtarbeitender Männer zwischen 1966 und 1976; es sind überwiegend Männer, die
langweilige Arbeit einfach nicht mehr akzeptieren, sondern lieber von der
Sozialfürsorge oder vom Einkommen ihrer Frau leben. Eine Seite des Problems
besteht darin, dass es in den USA immer mehr Collegeabsolventen gibt. Das
Arbeitsministerium schätzt ihre Zahl auf 18 Millionen, während es aber nur 14
Millionen Arbeitsstellen gibt, zu denen man einen Collegeabschluß braucht.
(2)Daniel Yankelovich: The New Morality: A Profile
of American Youth in the 70s. New York 1974. Seite 29.
(3) William Blake: Jerusalem 65, 16-28. Übers. v. Jochen Eggert.
Vorstehender Artikel ist aus: Mensch und Erde. Über die kreative Zerstörung der Industriegesellschaft. Soyen 1982.
Von dem wichtigen Buch wurde nur ein Bruchteil der Auflage verkauft, der größte Teil landete im Schredder. Kurz vorher konnte der Lohengrin-Verlag seinerzeit noch 150 Exemplare erwerben.